Himmel
Es war ein wahnsinnig heisser Tag. Nach einem Spaziergang um einen der Salzseen in der Laguna Cejar, mitten in der Atacama Wüste im nördlichen Chile musste ich mir Schatten suchen, denn die Höhe, auf der ich mich befand, gepaart mit der Hitze und dem angeblich riesigen Ozonloch über unseren Köpfen machte mich schwummrig. Überhaupt dieser Himmel! In der Wüste wie auch auf dem offenen Ozean ist grundsätzlich mehr Himmel als sonst irgendwo. Die ganze Welt, also alles, was man wahrnimmt, scheint ein einziger Himmel zu sein.
Überhaupt dieser Himmel! In der Wüste wie auch auf dem offenen Ozean ist grundsätzlich mehr Himmel als sonst irgendwo. Die ganze Welt, alles, was man wahrnimmt, scheint ein einziger Himmel zu sein.
In mir löst die Leere, das Fehlen von jeglichem Grün, die schiere Unbewohntheit und Weite der Wüste ein Gefühl von großer Kleinheit meinerseits in der unfassbaren Größe des Außerseits aus, also dem, was ich nicht bin. Weder riesige Wolkenkratzer in New York oder sonst irgendein Gebäude hat jemals so ein Gefühl in mir ausgelöst. Auch keine hohen Berge, kein Dschungel kann mir solche Ehrfurcht entlocken wie dieses schier unendliche himmeln. Es ist die grenzenlose Leere unendlicher Weite die mich anzieht, mich einsaugt, mich beruhigt weil ich daran erinnert werde, dass ich so gar nichts zu melden habe.
Ich versuche, zumindest einmal im Jahr in eine Wüste zu fahren und dem Himmel so nah zu sein, dass er mich fast erdrückt. Das ist so eine Art reality check für mich. In meinem hypersozialen schnellen Leben bin ich selten alleine, und vor allem immer umgeben von Dingen, Geräuschen, Situationen, Kommunikationen, mit denen ich interagieren muss, ob von außen dazu angehalten oder durch meinen großen Spieltrieb animiert. Hier nicht.
Die paar Menschen in der Oase San Pedro sind zu vernachlässigen gegenüber all der Leere und dem Platz um uns herum. Irgendwann werde ich den Mut aufbringen und allein in die Wüste gehen für ein paar Tage, mit einem Zelt und viel Wasser. Das ist so ein Traum von mir, ich glaube da passiert etwas ganz Besonderes mit einem. Darüber könnte ich jetzt noch viel sagen, aber hier geht es ja um Sterne. Und davor noch um Schatten. Also zurück zur Notwendigkeit des Sonnenschutzes.
Im wenig kühleren aber weitaus weniger bestrahlten Schatten eines Vans angekommen, eine lauwarme Colaflasche vom Kiosk mit den raunzigen Männern zwischen meine Beine geklemmt, sitze ich da und rauche eine chilenische Zigarette. Sie schmeckt scheiße aber irgendwie geil, wie nur Scheißzigaretten in einem heißen, Land weit weg von zu Hause, schmecken können, wenn man unterwegs ist. Genuso wie lauwarmes Cola. Die Mischung von Rauch und lauwarmen Cola auf den Geschmacksknospen in Verbindung mit heisser, trockener Luft ist so ungefähr das Geilste, was meine Knospen kennen. Der Geschmack von Freiheit. Dieselgeruch dazu würde mir fast die Sinne rauben.eUnser Fahrer, ein netter, kleiner, leicht untersetzter Chilene in seinen Mittfünfzigern, setzt sich neben mich, und wie fast alle in diesem Land, spricht er genau 3 Wörter Englisch und das typisch nuschelige chilenische Spanisch. Das Nuschelspanisch, das wie aus der Pistole geschossen kommt und Worte zusammenklebt, die eigentlich einzeln im Satz stehen. Sie sagen hier nicht „Nos vemos“, also „wir sehen uns“, sondern „novemo“. So kann man sich das Nuschelige vorstellen, kein s und ganz schnell gesagt. Also sitzt er da und bittet mich um eine meiner Scheißzigaretten (fragt auch sofort, warum ich solche Scheißzigaretten rauche, und ich erwidere lächelnd „porque me gustan“ – „weil sie mir schmecken“. Und ganz ehrlich, wir sind hier an so einem gottverlassenen Ort, da raucht man was man zwischen die Lippen kriegt.
Ich verstehe seine Sprache deutlich besser als ich sie sprechen kann, bzw. spreche ich nüchtern schlechter als betrunken, deshalb lass ich ihn reden. Er erzählt mir, dass er Forscher war, an der Uni in Santiago. Und dass er hierher kam, nach San Pedro de Atacama, um nach Fossilien zu suchen und sie zu erforschen. Von denen gibt es hier Tonnen, erzählt er mir, denn früher wäre dieser trockenste Platz der Welt sehr fruchtbar und viele Tiere hätten die Salzwüsten bevölkert. Ich nicke. Dann sagt er, dass ihn dieser Ort im Norden Chiles, wo Bolivien näher ist als die nächste Großstadt, nicht mehr losgelassen hätte, und sein Leben an der Uni in Santiago und der Alltag mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Krawatten um den Hals nach der Wüste ihm nicht mehr gepasst hätte. Er zieht lange an der Scheißzigarette und schaut in die Ferne mit runzeliger Stirn und bei ihm wirkt das nicht so James Dean cool sondern so als würde er sich an etwas erinnern was sehr lange her ist und nicht mehr verstehen, warum das damals so war, warum er so ein Krawattenmensch war. Und dann grinst er mich aus seinem sehr braunen Gesicht an und erzählt mir, dass er dann seinen Uni Job hingeschmissen hat und jetzt Tour Guide und Busfahrer für die vielen Besucher aus der ganzen Welt ist, die diese Mondlandschaft hier sehen wollen. Und dass er glücklich ist. Denn San Pedro und die Wüste sei kein Ort, wo Menschen wohnen bleiben, die klare Strukturen wollen, die Bequemlichkeit wollen.
Die Menschen die hier leben, sagt er und schaut mir in die Augen, wollen frei sein.
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